Skip to main content

Aktuelles

14. Stifterratversammlung am 21.02.2018: Leitung durch den Stifterrepräsentanten Titus Malms

Begrüßung durch den Stifterrepräsentanten Titus Malms:

 

Herr Vorsitzender, meine sehr geehrten Damen und Herren,

 

zu dieser 14. Stiftungsrat-Versammlung heiße ich Sie alle herzlich willkommen. Nach unserer Satzung leite ich als Stifterrepräsentant diese Versammlung und stelle fest, dass sie ordnungsgemäß einberufen und beschlussfähig ist. Ich begrüße insbesondere natürlich unsere Stifter, in deren Namen ich hier sprechen darf, und alle Vertreter der verschiedenen institutionellen Pyrmonter Adressen, die Vertre­ter der Medien, die Konzert- und Musikfreunde und an erster Stelle selbstverständlich unseren heutigen Ehrengast, den Intendanten der Nordwestdeutschen Philharmonie, Herrn Andreas Kuntze aus Herford! Ich habe die spannende Gründungsgeschichte der Nordwestdeutsche Philharmonie 2016 in der Zeitung ja ausführlich ausgebreitet und will das nicht wiederholen. Nachdem sie 1946 hier in Bad Pyrmont gegründet wurde, war sie finanziell nicht mehr in Niedersachsen zu halten und siedelte 1950 in den Schützenhof nach Herford um. *

 

Ich weiß nicht, ob ich es schon einmal öffentlich erwähnt habe, aber ich gebe es gerne noch mal zu Protokoll: Dort nebenan ging ich in die dritte Klasse der Volks­schule Stift Berg und wohnte als Stadtindianer vier, fünf Häuser unterhalb des Schützenhofes bei meinen Großeltern, die sich sogleich ein Abonnement für die Konzerte des neuen Klangkörpers zulegten, und die darüber ganz entzückt waren. Also, wer verfügt schon über eine derartige Langzeitbeziehung zu Ihrem Orchester, Herr Kuntze? Wir freuen uns also sehr über Ihren Besuch, und ich möchte mit Vergnügen heute auch noch Herrn Thomas Trappmann aus Detmold begrüßen, den Geschäftsführer der Philharmonischen Gesellschaft Ostwestfalen-Lippe, der heute ebenfalls unter uns ist. Die künst­le­rischen Verbindungen zwischen den Waldeck-Pyrmontern und den Lippern reichen bis ins frühe 19. Jahrhundert zurück und wir sind immer erfreut, wenn wir sie erneuern dürfen. Übrigens wurde nach Herford dann ja auch Detmold mein nächster Wohnsitz, wo ich das Gymnasium – und im Landestheater erstmals eine Opernaufführung besuchte. Ich war 13 Jahre und ganz außer mir vor Begeisterung: frühe Prägungen.

 

Doch bevor wir in die Tagungsordnung eintreten, möchte ich Sie bitten, sich von Ihren Plätzen zu erheben, gedenken Sie bitte der verstorbenen Stifterin Helga Wernecke, der Partnerin unseres vormaligen Schatzmeisters Bruno Fritz, die am Wohl und Wehe unserer Stiftung immer großen tätigen Anteil genommen hat. –

Ich danke Ihnen, dass Sie sich zum Gedenken von Ihren Plätzen erhoben haben. 

 

Ich höre abends um 19:20 Uhr auf 3sat eigentlich täglich die Sendung „Kulturzeit“, ich weiß nicht, ob Sie Ausgabe vom 6. Dez. gesehen haben. Es gab einen Beitrag über das neue Buch des Konzertagenten Berthold Seliger: „Klassikkampf“, der mich gehörig aufgeschreckt hat, und ich möchte diese Irritationen aus gegebenen Anlass durchaus an Sie weiter geben. Ich erhoffe mir auch, dass wir später im Dialog mit Herrn Kuntze Gelegenheit haben werden, diese Pro­blematik zu vertiefen.

 

Worum geht es? Es geht um das Phänomen, dass wir auch in Pyrmont beobachten können, im Konzerthaus sitzt bei den Symphoniekonzerten vorwiegend ein älteres, ein nach musikalischen Maßstäben konservatives Publikum, das stereotyp immer die gleichen abgespielten Stücke von Mozart, Beethoven und Brahms hören möchte, junge Menschen sind die absolute Ausnahme im Saal. Natürlich ist diese Kritik am selbstgefälligen Musikkonsum nicht neu, der Kritiker H.-H. Stuckenschmidt sprach schon vor 90 Jahren von den „Musikhörigen“, und von den sog. „Kulinarikern“, die sich unkritisch im ewig gleichen Repertoire eingerichtet haben. Aber mittlerweile wird die Situation offenbar kritisch. Pyrmonter Konzertbesucher kündigten mir z. B. an, dass man Konzerte, bei denen etwa, man höre und staune, Debussy, Rachmaninow oder Reger zur Aufführung gelangen, nicht besuchen werde, und raunte mir dazu Begründungen ins Ohr, die ich besser nicht zitieren sollte und die jeder Beschreibung spotten. Nicht auszudenken, es wären Bartók, Ligeti oder gar neuere Komponisten gegeben worden. Nicht etwa Neugier, sondern Ablehnung bricht sich da Bahn, Zitat: „Ich bin jetzt so alt geworden, dass ich selbst entscheide, was ich hören will.“ Man weiß also schon vor dem Hören, dass man definitiv ausschließt, aus der Begegnung mit neuen Tönen irgendeinen ästhetischen Gewinn zu ziehen. Wer von Ihnen ohne Sünde ist, der werfe einen selbstkritischen Blick ins Jahresprogramm... 

 

Für Berlin gibt es eine Untersuchung, für Bad Pyrmont brauche ich gar keine, da genügt der bloße Augenschein, um auch da zu erkennen, dass die häufigste Altersklasse, die der über 60-jährigen ist, der Anteil der Unter-30-jährigen ist außerordentlich gering. Interessant auch die Beobachtung, die ich der FAZ entnehme, dass unter dem Einfluss des Internets das unstrukturierte Interessenspektrum der Unter-30-jährigen heute unerwartet signifikant enger ist als das der Unter-30-jährigen vor 20 Jahren. Das Internet erweitert also nicht automatisch die Orientierung und das Informations-Spektrum; angesichts seiner Fülle breitet sich auch eine fahrige Oberflächlichkeit aus. Gemessen am Niveau von 1998 ist so das Interesse der jungen Generation an Kunst und Kultur um 41% gesunken! Interessant ist, dass Unter-30jährige, die regelmäßig eine Tageszeitung lesen, ein wesentlich breiteres Interessenspektrum haben als Gleichaltrige, die auf diese Lektüre verzichten! Tatsächlich ist das Interesse an klassischer Musik heute weitaus stärker altersgebunden als vor 15-20 Jahren – nicht durch ein überdurch­schnittlich gestiegenes Interesse Älterer an klassischer Musik, sondern durch ein gravierend gesunkenes Interesse in der jungen Generation. Das Publikum der Klassik-Konzerte altert demgemäss von seiner Struktur her schneller als die Gesellschaft. Das wird in Bad Pyrmont noch verstärkt durch den tendenziell sowieso höheren Altersdurchschnitt. Natürlich kennen wir die Forderung, die auch Herr Seliger erneuert, dass der allgemeine Routine-Express-Zug von Beethoven bis Sibelius und zurück, wie das schon Hanns Eisler titulierte, dadurch aufgehalten werden sollte, indem vor allem die musikalische Ausbildung von Kindern und Jugendlichen verbessert werden müsse. Aktuell kann man das ausgerechnet unter kommunistischer Führung unüberhörbar besichtigen. Schauen Sie nur einmal nach China, wie es im Oktober die Süddeutsche Zeitung tat. Da ist die klassische Musik derzeit tatsächlich die hippe, die coolste Unterhaltungsform der Jugendlichen. Warum? So viel, meine Damen und Herren, von mir ein paar Gedankensplitter für den späteren Diskurs und danke für Ihre Aufmerksamkeit!

 

Ich bitte nun den Vorsitzenden Arndt Jubal Mehring um seinen Rechenschaftsbericht 2017.

 

Dank an Vorsitzenden (Uhr überreichen)

 

Schluss:

 

Musik ist ein Geschenk, aber man bekommt sie nicht geschenkt. „Um ein ernstes Kunstwerk zu empfangen, muss die halbe Arbeit an dem selben vom Empfänger selbst verrichtet werden“, so der Komponist Ferruccio Busoni. Wie uns das die quotengeilen Medien mit ihrer leichten Häppchenkultur vorzumachen versuchen, bedarf Musik wie alle große Kunst, nicht der Vereinfachung, sondern der Vermittlung. Die „Leichtigkeitslüge“, wie man das genannt hat, (Holger Noltze) verklärt, dass man Anstrengungen unternehmen muss, die heute oft als unzumutbar empfunden werden, um den unbestreitbar großen Gewinn, den die musikalische Bildung uns gewährt, genießen zu können. Also auf in den Klassikkampf! Meine Damen und Herrn, es lohnt sich, für die Sache der klassischen Musik zu kämpfen, am besten Sie kaufen sich schon morgen ein Abonnement oder spenden endlich für die Musikbad-Stiftung und retten die klassische Kultur, bevor sie endgültig ins Museum wandert! 

 

Die modernste Musik, die ich kenne, sagt, Seliger, ist die von Johann Sebastian Bach und der weiteste Horizont eröffnet sich mir bei Ludwig van Beethoven! 

 

Und eines der gewiss schönsten Konzerte in diesem Jahr hören wir am 28. April. 

 

Herzlichen Dank, Herr Kuntze, dass Sie uns darauf so wunderbar eingestimmt haben, vielen Dank für Ihren Besuch. (Präsent überreichen) 

 

Und Sie, meine Damen und Herren, ernenne ich hiermit allesamt zu Agenten der frohen Botschaft, die Sie hier heute Abend gehört haben! Gehen Sie hin 

und verkünden Sie aller Welt das klassische musikalische Evangelium!

Ziehen Sie hin in Frieden!